Wen trifft die Krise?
Wirtschaftsmisere: Eine Finanzspritze jagt die andere, ein Stellenabbau folgt dem nächsten – und doch merkt man im Alltag nichts von Rezession. Eine Reise durch die Schweiz auf der Suche nach der Krise.
Die Krise wird so schlimm wie noch nie», sagt der Freund und nimmt einen Schluck Kaffee. «Von Amerika her wird eine riesige Inflation kommen, und der Wert unseres Geldes auf dem Sparbüchlein wird dahinschmelzen wie Schnee.» Wie weggewischt ist die gemütliche Stimmung beim Znacht mit Geplauder über Familie und Beruf.
Wer da spricht, ist kein Spinner, nein, es ist ein rationaler Mensch, Berufsschullehrer und gut informiert über Börse und Wirtschaft. Darum hat er vorgesorgt. Ist an der Bahnhofstrasse in die Abteilung Numismatik und Edelmetalle der UBS marschiert, hat rund 7000 Franken in bar rübergeschoben und einen Goldbarren in die Tasche gesteckt. Der liegt nun bei ihm zu Hause in der Schublade. «Goldmünzen wären noch besser», meint der Freund nachdenklich. «Nur so könnte man sein Brot noch kaufen, wenn die Krise richtig ausgebrochen ist.»
Ja ist der denn ganz verrückt geworden? Wo ist diese Krise der Extraklasse? Klar steigen die Kurzarbeitszahlen. Aber das passiert immer mal wieder. Klar entlässt die UBS nochmals 2000 Leute, der Industriekonzern Rieter 2300 und der Maschinenkonzern Oerlikon 1000. Doch die Arbeitslosigkeit lag im Januar mit 3,3 Prozent noch weit unter den 5,2 Prozent auf dem Höhepunkt der Immobilienkrise 1997 (siehe nachfolgend «Die grössten Wirtschaftskrisen»). Und: Erinnern Sie sich an die Krise 1997?
Im Alltag der meisten Menschen ist noch nichts von Krise zu spüren. Im Gegenteil: Die Preise sinken, der Hypozins ist tief wie noch nie, der Benzinpreis ist um einen Drittel abgesackt. Und doch bleibt ein mulmiges Gefühl. In den letzten Monaten ist passiert, was bisher undenkbar schien: Banken kollabierten. Staaten starteten Milliardenprogramme. Die UBS musste mit 68 Milliarden Franken gerettet werden. Wie stark wird diese gigantische Finanz- und Bankenkrise auf die reale Wirtschaft durchschlagen? Wie schlimm wirds? Wird es die ganz grosse Krise? Wir fragen Leute, die es wissen könnten.
Der entlassene Banker:
Frank Baumgartner, 34, wurde Anfang Dezember von einer Schweizer Grossbank entlassen. Das Buch, das auf einem Stuhl liegt, hat ihm seine Mutter geschenkt: der Bestseller «Crashkurs», der die Hintergründe der aktuellen Krise ausleuchtet. Daneben steht ein blitzblanker leerer Sektkübel – das einzige Stück in der Zweizimmerwohnung, das an Luxus erinnert.
«Von 2003 bis 2007 war Partytime», sagt Ex-Investmentbanker Baumgartner. «Wir waren wie im Rausch. Die Aktien stiegen immer weiter, die Boni auch. Viele in der Branche verdienten 20'000 Franken im Monat, manche auch mehr. Da wurden alle irgendwie blind.» Alle hätten gewusst, dass die Banken auf wackligen Beinen stehen, mit sehr wenig Eigenkapital, «aber alle haben verdrängt, wie gefährlich das ist». Dass der Absturz dann so jäh und heftig kommen würde, habe niemand geahnt.
Der junge Mann in weissem Hemd und Jeans wirkt trotz seiner Kündigung nicht niedergeschlagen. Der Chef rief ihn ins Büro, erklärte ihm, dass man in der Grossbank Tausende von Stellen abbauen müsse und dass seine leider eine davon sei. «Ich war nicht überrascht», erzählt er. «Die Finanzkrise hatte ja bereits im Sommer 2007 begonnen, und in unserer Grossbank folgte eine Abbaurunde der nächsten. Zudem ist man in diesem Beruf immer auf eine mögliche Entlassung gefasst. Da herrscht eine Hire-and-fire-Mentalität.» Baumgartner ist nicht einmal richtig traurig über seine Entlassung. «Jetzt kann ich endlich all die Dinge nachholen, die ich als Investmentbanker mit 70-Stunden-Woche nicht machen konnte.» Deshalb reist er nun für vier Wochen nach Südamerika mit seiner Freundin. Kinder hat er keine.
Die Bank zahlt ihm noch fünf Monatslöhne. Und dann möchte Baumgartner nicht gleich aufs Arbeitsamt. «Manchmal hab ich aber schon Angst, dass es länger als ein oder zwei Jahre dauern könnte, bis ich wieder eine Stelle habe. Das würde schon aufs Gemüt schlagen.» Er glaubt aber, dass zurzeit zu schwarz gemalt werde. Die ganz grosse Krise sei es nicht. Nächstes Jahr – so denkt er – erhole sich der Finanzsektor wieder. Einen Goldbarren hat er nicht in der Schublade.
Herr Baumgartner, stört es Sie nicht, zu den Buhmännern der Nation zu gehören?
«Nein, weil es durchaus gerechtfertigt ist. Ich hatte einen zu hohen Lohn. Eine Bank bringt nie so viel Mehrwert im Vergleich zu andern Branchen, dass so hohe Boni gerechtfertigt wären. Die aktuelle Korrektur ist ganz gesund.» Gleichzeitig betont Baumgartner, dass nur wenige Investmentbanker für die ganz grossen Schäden verantwortlich seien. Er gehöre nicht dazu.
Der Investmentbanker ist in der Finanzkrise Täter und Opfer zugleich. Da hält sich das Mitleid in Grenzen. Doch wie weite Kreise wird die Krise ziehen?
Der Autohändler:
Kenny Eichenberger sollte wissen, wie heftig die Krise bereits in der realen Wirtschaft angekommen ist. Denn seine Branche gilt als eine der ersten, die eine Rezession zu spüren bekommen. Mächtig ragt die gläserne Fassade von «Kenny’s Auto-Center» in den fahlen Wettinger Winterhimmel. Davor der Platz, auf dem sich Wagen an Wagen drängt: grosse Mercedes und kleine Smart, glänzend poliert allesamt. Ein Warenwert von acht Millionen Franken, der auf Kundschaft wartet. Menschen in dicken Mänteln werfen verstohlene Blicke durch die Windschutzscheiben.
Herr Eichenberger, gucken die Leute nur oder kaufen sie auch?
Oben in seinem Büro – gross und hell, Modellautos auf allen Ablagen – schnellt Autohändler Eichenberger aus dem Sessel hoch, in den er sich eben niedergelassen hat. Stürmt hinüber in den Schulungsraum, wo sich die Antwort auf die Frage findet. Auf Flipcharts haben die Verkäufer säuberlich ihre abgeschlossenen Geschäfte notiert. Das Blatt, das den ersten Monat im Krisenjahr 2009 zeigt, ist von oben bis unten gut gefüllt.
«Wir spüren noch nichts von der Krise», sagt Eichenberger in jenem hochgestimmten Verkäuferton, den man aus seinen Radiospots kennt («Hoi zäme! Da isch de Kenny!»). Der Besucher, Hiobsbotschaften aus der krisengeschüttelten Autobranche im Kopf, hat sich auf einen nachdenklichen, besorgten Händler eingestellt. Aber dieser Mann hier ist fast schon unanständig gut gelaunt. An die 1000 Wagen habe er letztes Jahr in Wettingen verkauft, bislang deute nichts auf einen Einbruch hin. Und falls die Baisse doch noch durchschlage, müsse man sich halt damit arrangieren. «Es nützt niemandem, jetzt den Kopf in den Sand zu stecken und im Chor zu jammern», findet der 54-jährige Unternehmer, Optimist und Pragmatiker zugleich. Denkbar sei, dass es zu einer Verlagerung komme, statt der S-Klasse die weniger teure E-Klasse – auch gut. Und bei einem allfälligen Rückgang im Verkauf sei dafür die Werkstatt umso besser ausgelastet. «Das war noch in jeder Krise so.» Man müsse eben immer das Ganze sehen, meint Eichenberger. Und langfristig denken.
Das sind alte, hehre Unternehmerwerte. Kenny Eichenberger, der in 35 Jahren im Geschäft drei grössere Wirtschaftsflauten überlebt hat, ist nie von ihnen abgerückt und glaubt, so für schwierige Zeiten gewappnet zu sein. Er habe immer nur so viel investiert, wie er sich leisten konnte, da sei er extrem konservativ. «Unsere Fundamente sind trocken», sagt er und meint damit: schuldenfrei. Steuertechnisch nicht optimal, «aber dafür schlafe ich ruhig, auch jetzt noch». Selbst auf dem vor sieben Jahren erstellten und nach der Feng-Shui-Philosophie eingerichteten Wettinger Autocenter, das 80 Leute beschäftigt, liegt keine Hypothek mehr.
Der Psychologe:
Dennoch macht sich die Krise in vielen Unternehmen bereits real bemerkbar – im Betriebsklima. Der auf Arbeitskonflikte spezialisierte Psychologe Klaus Schiller-Stutz hat in schlechten Zeiten Konjunktur. In letzter Zeit erhält er häufig Anfragen von Berufsleuten, die unter den Spannungen im Job zu zerbrechen drohen. Die Angst geht um in Schweizer Betrieben. Und nicht nur bei einfachen Angestellten: Die Hälfte seiner Klienten sind Kaderangestellte.
Der 56-Jährige mit Bart und Brille empfängt seine Besucher in einem engen Raum im Soussol eines Mehrfamilienhauses in Dietikon ZH. In der Mitte der Praxis steht ein Tischchen, drum herum farbige Stühle. Viele seiner Klienten würden sich spontan in den grünen Sessel setzen, hat der Konfliktberater beobachtet: Grün für Hoffnung.
«In Krisenzeiten haben die Leute stärker das Bedürfnis, zu reden, abzuladen», sagt er. Sind die Sorgen einmal formuliert, geht er oft in die Firmen, um die Konfliktbeteiligten am runden Tisch zur Aussprache zusammenzubringen. Mitunter sind die Wunden aber bereits zu tief. Kürzlich habe jemand – emotional ausser sich – gefragt, wie man einen Amoklauf plane. «Viele harren zu lange in Stresssituationen aus», stellt der Experte fest.
Herr Schiller-Stutz, wie kann man sich selber schützen, wenn der Arbeitsplatz zur Kampfzone wird?
«Bloss nicht die Faust im Sack machen und resignieren. Sondern handeln, und zwar möglichst früh, bevor sich ein Konflikt verselbständigt. Also: die Beteiligten direkt auf das Problem ansprechen, aber nicht als Anklage, sondern in der Ich-Form als Schilderung der eigenen Sichtweise. Nötigenfalls können Dritte als Vermittler helfen.»
Der Arbeitsvermittler:
Die sich anbahnende Krise bringt nicht nur die Privatwirtschaft ins Schlingern. Auch die Berater der regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) spüren sie. «Wir haben im Dezember und Januar jeweils fünf bis sieben Prozent mehr Fälle bekommen», sagt Walter Nisple, 59, Leiter der Zürcher RAV der Region Nord. «Wenn wir pessimistischen Prognosen glauben, die sagen, das gehe fünf Jahre lang so weiter, würde das zu einer nie dagewesenen Flut von Arbeitslosen führen.» Auf solche Annahmen könne man aber nicht abstellen. «Deshalb erfolgt der Ausbau der RAV moderat aufgrund der laufenden Entwicklung.» Der Mann in offenem Hemd und Kittel wirkt eher wie ein Werkstattleiter denn wie ein Chefbeamter und passt irgendwie nicht in diesen alten Staatsbau nahe des Zürcher Central.
Eine Tatsache gibt ihm zu denken: «Wie die Erfahrung zeigt, können wir die Arbeitslosigkeit nur wieder spürbar senken, wenn das Wirtschaftswachstum über 2,5 Prozent liegt.» Düstere Aussichten also für die Schweiz, denn alle Prognostiker gehen für dieses und das nächste Jahr davon aus, dass die Wirtschaft kaum wächst oder sogar schrumpft. Das heisst: mehr Arbeitslose – und zwar auf lange Zeit. «Im Januar haben wir rund 20 neue Mitarbeiter angestellt, und ein Antrag um weitere 20 liegt beim Chef», meint Nisple. Bis dahin gibt es strube Zeiten für die RAV-Berater, denn bis neue Leute eingearbeitet sind, geht es rund sechs Monate.
Herr Nisple, wird diese Krise ausserordentlich?
«Ja. Neu ist sicher, dass wir qualifizierte Stellensuchende wie zum Beispiel Banker im eigenen Land werden unterbringen müssen, weil es zurzeit international keinen alternativen Markt gibt.»
Der Wirtschaftshistoriker:
Vom RAV-Leiter zum Institut für empirische Wirtschaftsforschung der Universität Zürich gehts steil bergauf. Tobias Straumann, 42, bittet in ein Zimmer von knapp zwölf Quadratmetern, in dem zwei Wissenschaftler arbeiten. Er ist ein Wolf im Schafspelz. Als Historiker hat er sich bei den Wirtschaftswissenschaftlern eingenistet, hat alle Krisen der letzten 100 Jahre pingelig studiert und stiehlt der Wirtschaftselite jetzt in schwarzen Jeans die Show.
«Es wird keine zweite grosse Depression geben», sagt er, die Hand am Kinn, den Kopf leicht eingezogen. Warum nicht? «Heute sind die Politiker klüger, stützen die Banken und die Konjunktur mit grossen Finanzpaketen, schotten die Binnenwirtschaft nicht von andern Ländern ab und senken die Leitzinsen.» Straumann hat grosses Vertrauen in die Politik. Es sei eine teure Feuerwehrübung, sagt er, aber sie sei gut geleitet. In den dreissiger Jahren hingegen habe man alle Fehler gemacht. «Man hat bei den Staatsausgaben gespart und gleichzeitig die Steuern erhöht.» Darum kam die Realwirtschaft ins Stottern. Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz betrug auf dem Höhepunkt der Krise 1932 mehr als zehn Prozent, das Bruttoinlandprodukt ging um zehn Prozent zurück.
Aber die aktuelle Krise werde trotzdem ausserordentlich und grösser als die zweite Ölkrise der achtziger Jahre oder die Immobilienkrise der neunziger Jahre, ist Straumann überzeugt. «Es wird jetzt steil runtergehen und lange dauern, bis sich die Wirtschaft erholt hat. Die Arbeitslosigkeit wird über fünf Prozent steigen, das Bruttoinlandprodukt stagnieren, aber nicht stark schrumpfen.» Der habilitierte Wirtschaftshistoriker klingt gleichzeitig entschieden, bescheiden und unsicher. Er sei auch am Lernen, meint er. Es passiere jeden Tag wieder etwas Neues.
Herr Straumann, wieso merken wir trotzdem noch kaum etwas von dieser Krise?
«In der Schweiz kommen Krisen immer mit rund sechs Monaten Verspätung an.» Bei der grossen Depression habe es gar zwei Jahre gedauert, bis man es hier richtig gemerkt habe. «Neu ist, dass die Krise in den Köpfen schon da ist, bevor sie sich real gezeigt hat.»
Auch Straumann hat keinen Goldbarren in der Schublade. Er habe ohnehin kein Geld zum Anlegen. Und Hyperinflation werde es auch in dieser Krise keine geben. «Die massive Geldentwertung gab es in den zwanziger Jahren, weil Deutschland einfach Banknoten gedruckt hat. Das macht heute keine Regierung.» Sein persönliches Fazit: «Was soll ich mich jetzt schon anpassen? Wenns denn so weit ist, kann ich es immer noch.»
In den Gängen des Instituts hängen alte statistische Schaubilder der Schweiz. Eines zeigt den Anteil Goldmünzen am Geld in den jeweiligen Kantonen im Jahr 1905: im Kanton Zürich 31 Prozent, im Kanton Bern 9 Prozent, im Tessin 47 Prozent. Dass man sein Brot mit einem Goldvreneli bezahlte, liegt also gar noch nicht so lange zurück.
Bleibt noch ein Rendezvous. Jenes mit der globalen Wirtschaftselite. Sie hat uns die Krise eingebrockt und sie hat es – teilweise – zuerst erwischt. Wir fahren von Zürich nach St. Moritz, blicken erst auf die Goldküste, wo bereits Villen keine Käufer mehr finden, vorbei am Glarnerland, das schon heftigere Krisen überlebte, und durch Dörfer, in denen die KMU fürs wirtschaftliche Rückgrat sorgen: der Präzisionsgerätehersteller Faes in Mels, Debrunner Acifer in Landquart, Gasser Baumaterialien in Zizers. Flachdachklötze mit grossen Fenstern. Da und dort sieht man unter einem grauen Himmel einen Arbeiter an seinem Werkplatz, dessen Job von globalen Ereignissen abhängt.
Der Luxushotelier:
Nach dem Albulatunnel blendet plötzlich eine Märchenwelt: glitzernder Schnee, strahlende Sonne, blauer Himmel. Rauchwölkchen kringeln gemütlich aus den Kaminen der Ferienchalets. Auf dem St. Moritzer See wird die Tribüne für die Polospiele aufgebaut.
«Wirtschaftskrise?», fragt Hans Wiedemann, Direktor des Badrutt’s Palace Hotel, zurück. «Und wenn auch: Unser Hotel hat schon die grosse Depression, zwei Weltkriege und den Führer überlebt.» Der 56-Jährige, der vom Besitzer bereits vor drei Jahren als Haupterbe des Nobelhotels eingesetzt wurde, sitzt in der riesigen Hotelhalle voller gobelinbespannter Sofas und dunkelroter Stühle. An den Wänden hängen alte Bilder mit dunklem Firnis, eine Bischofsbüste.
«Anfang Dezember habe ich allen 570 Angestellten verboten, das Wort Krise auch nur in den Mund zu nehmen», erzählt der Direktor. «Die globale Wirtschaftselite, die sich hier trifft, hat eine Auszeit verdient. Wir bieten sie ihnen», formuliert er das Krisencredo eines Weltklassehotels. Die Kunden wüssten das zu schätzen. Nur gerade einmal habe ihn ein Gast auf die Krise angesprochen. Er habe ihm achselzuckend geantwortet: Alles, was er wisse, sei, dass morgen Dienstag sei. «Was soll ich auch sagen? Wenn jemand 50 Millionen verloren hat, kann ich ihm diese nicht wiederbeschaffen.» Das Hotel kann sich Gelassenheit leisten. Seine Klientel besitzt nicht Millionen, sondern Milliarden und kommt seit Generationen hierhin, zahlt beim Auschecken jeweils gleich fürs nächste Jahr. Die Warteliste ist lang. Das Zimmer kostet zwischen 850 und 25000 Franken. Pro Nacht, versteht sich.
Herr Wiedemann, ist hier oben die Krise in keiner Hinsicht spürbar?
«Man redet wieder mehr über das Menschliche», berichtet er von den Regungen der obersten Zehntausend. «Beziehungen, Solidarität und Vertrauen werden wieder wichtig.» Und da sieht Wiedemann auch die Aufgabe des «Badrutt’s Palace» in den Wogen der heraufziehenden Krise: «Wir sind ein wichtiger Treffpunkt, wo die Wirtschaftsführer in ungezwungener Atmosphäre wichtige Gespräche führen können.» Das «Palace» als helvetisches Réduit für die Weltmanager.
Direktor Wiedemann pfeift einen Chauffeur herbei und lässt die Journalisten im alten Rolls-Royce – «von der Royal Family erstanden» – zum Bahnhof chauffieren, damit sie pünktlich ihre Reise zurück in die reale Welt antreten können. Derweil spielt im Frühstückszimmer des Hotels eine Harfenistin für das zmörgelnde globale Establishment. Die Pendeluhr zeigt fünf vor zwölf.