Wie das Multimilliardenloch entstand
Tumult an den Börsen, Rettungspakete, Angst vor der Rezession: Die Finanzkrise hält die Welt im Würgegriff.
Viele Anleger fragen sich: Wie konnte es soweit kommen?
Die Wurzel der aktuellen Krise liegt in einem Wesenszug des Bankenwesens selbst: Keine Bank besitzt so viel Geld, wie sie verleiht. Die Geldhäuser haben zwar Eigenkapital - ob in Form von Immobilien, Edelmetall, Aktien oder Bargeld - doch bei weitem nicht so viel, wie sie verleihen. Das meiste Geld, mit dem Banker täglich hantieren, ist geborgt. Entweder von Sparern, die ihr Geld aufs Konto legen und so der Bank das Recht einräumen, damit zu wirtschaften. Oder aber von anderen Banken und den Zentralbanken.
Das gesamte Bankenwesen funktioniert also auf Pump. Und damit auf der Basis gegenseitigen Vertrauens: Eine Bank leiht der anderen nur dann Geld, wenn Sie auch sicher sein kann, es wieder zurückzubekommen (mit Zinsen, versteht sich).
Was passiert, wenn das Vertrauen in einen vermeintlich stabilen Geschäftspartner sich einmal als Fehleinschätzung erweist, mussten die Manager der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) schmerzhaft feststellen: Sie überwiesen 300 Millionen Euro an Lehman Brothers, als die US-Bank bereits pleite war. Zwar ging es dabei um ein Geschäft, nicht um einen Kredit - das Geld ist aber trotzdem weg, zumindest zum großen Teil. Ein bisschen mag die Konkursmasse von Lehman Brothers noch hergeben, aber das ist nicht mehr als ein Trostpflaster.
Nur nicht in die gleiche Falle tappen wie die KfW
Die Angst, dass etwas Derartiges passieren könnte, treibt Banker schon seit vielen Monaten um - seit der Lehman-Pleite lähmt sie das internationale Bankgeschäft noch stärker als schon zuvor: Keine Bank traut der anderen, jede fürchtet, in eine ähnliche Falle zu tappen wie die KfW.
Doch warum sind Banken überhaupt von der Pleite bedroht? Das hängt vor allem mit drei Faktoren zusammen: der US-Immobilienblase, der Politik der US-Regierung und den immer gewagteren Geschäftspraktiken der Banken - befeuert durch niedrige Zinsen.
In den USA war Häuserkaufen in den Neunzigern schwer in Mode. Weil das Geld von der US-Zentralbank Fed so billig zu haben war (die Zinsen waren niedrig), verliehen die Banken ihrerseits begeistert Geld an Häuslebauer - natürlich für etwas höhere Zinsen, als sie selbst an die Fed bezahlten. Außerdem ermutigte die Regierung Clinton die Hypothekenfinanzierer Freddie Mac und Fanny Mae, noch freigebiger mit Immobilienkrediten zu sein. Die Anforderungen an hoffnungsvolle Häuslebauer wurden drastisch reduziert.
Viele Kredite wurden vergeben, ohne genau zu prüfen, ob die Hauskäufer tatsächlich in der Lage sein würden, ihre Raten regelmässig zu bezahlen. Selbst Arbeitslose bekamen in den USA Immobilienkredite. Und zwar zu variablen Zinssätzen - was viele von ihnen später in den Ruin trieb. Anfangs waren die Zinsen niedrig, später stiegen sie rasant an.
Die Banken gingen mit solchen Hypotheken zunächst sehr sorglos um, und zwar auch deshalb, weil die Immobilienpreise in den USA stetig stiegen. Konnte ein Schuldner nicht mehr zahlen, so die Logik der Banken, würde man einfach sein Haus übernehmen - und das wiederum würde immer wertvoller werden. Ein vermeintlich sicheres Geschäft. Niedrige Zinsen schufen neue Nachfrage nach Immobilien, diese wiederum liess die Hauspreise steigen - eine Aufwärtsspirale kam in Gang.
Solche Hypotheken galten daher lange als attraktive Anlage. So attraktiv, dass die Banken untereinander damit zu handeln begannen. Einzelne Hypotheken wurden in Häppchen zerschnitten, diese Anteile von Tausenden von Häuser-Krediten zu Bündeln zusammengepackt und dann als Wertpapiere verkauft, sogenannte Derivate.
Keiner wess mehr, wieviel Kapital die Banken noch haben
Weltweit besitzen heute Bankhäuser Anteile an solchen Hypothekenpaketen, und keiner überblickt mehr so richtig, welche Kreditschnipsel da eigentlich wie zusammengepackt wurden. Keine Bank kennt die Hauskäufer, an deren Hypotheken sie Anteile hält. Was eine Zeitlang keinen störte, denn der Wert all der vielen neuen Einfamilienhäuser stieg, und die Derivate lieferten satte Renditen.
Dann aber erhöhte Fed in den USA die Leitzinsen, aus Angst vor der Inflation. Auch die variablen Hypothekenzinsen der Häuslebauer stiegen plötzlich an. Es kam zu ersten Zwangsversteigerungen, weil Kreditnehmer nicht mehr zahlen konnten. Der Immobilienmarkt in den USA war ohnehin bereits übersättigt, nun hörten die Immobilienpreise auf zu steigen, ja sie fielen sogar. Hunderttausende Hauskäufer mussten Insolvenz anmelden. Plötzlich erkannten viele Banker die Brisanz der Papiere, die sie da in Massen gekauft hatten - und diese wurden unverkäuflich.
Weil die Banken so viele Hypthekenderivate besassen, die nichts mehr wert waren, verloren auch sie an Wert, und zwar rasch. Bei vielen Banken ist bis heute völlig unklar, welche Abschreibungen noch auf sie zukommen, weil keiner genau weiss, wie viel die faulen Kreditpakete noch wert sind.
Ohne Kredite leidet auch die Realwirtschaft
Weil die Banken nun nicht mehr einschätzen können, wie gesund oder kränklich andere Marktteilnehmer wirklich sind, kommt es zur Kreditklemme: Jeder misstraut jedem, keiner verleiht mehr Geld. Ähnlich wie man einem Kleinsparer ohne Sicherheiten keinen Grosskredit einräumen würde. Das trifft die Banken zuerst - dann aber auch andere Unternehmen. Auch sie bekommen keine Kredite mehr.
In den USA ist es bereits jetzt soweit. Doch die Unternehmen brauchen geliehenes Geld, um Investitionen zu machen. Ohne Kredite kommt das gesamte Wirtschaftssystem ins Stocken. Das ist der Hauptgrund für die Talfahrt der Börsen in den vergangenen Wochen.
Aus der Finanzkrise ist bereits jetzt eine Wirtschaftskrise geworden. Wachstum braucht Kapital, und daran herrscht im Moment überall Mangel, was durch die einbrechenden Börsenkurse noch schlimmer geworden ist. Nicht nur Banken, auch die meisten anderen Unternehmen verlieren seit über einem Jahr kontinuierlich an Wert.
Die gigantischen staatlichen Versprechen, die in den USA und Europa nun gemacht werden, sollen die Kreditklemme auflösen: Indem der Staat garantiert, dass er einspringt, wenn eine Bank einen Kredit nicht zurückzahlen kann, soll das Vertrauen zwischen den Banken wiederhergestellt werden. Das zweifelhafte Eigenkapital wird so weniger wichtig - denn der Steuerzahler kann, rein theoretisch, nahezu unbegrenzte Mengen Geld zur Verfügung stellen, wenn es hart auf hart kommen sollte, wie bei Lehman Brothers. Im Zweifelsfall werden eben die Steuern erhöht. Das unterscheidet den Staat von jedem anderen Investor, der keine ewig sprudelnde Geldquelle besitzt.
Praktisch hätte es verheerende Auswirkungen, wenn weitere Banken kollabieren würden und mit Steuergeld gerettet werden müssten. Staatsverschuldung und Steuern würden steigen. Doch gerade in Europa hofft man, dass es so weit gar nicht kommt: Indem man die Geschäfte der Banken untereinander absichert, will man das Vertrauen wieder herstellen - und hofft, dass sich der Markt dann selbst wieder auf die Beine hilft.
Zusätzlich ist aber auch noch etwas anderes nötig: Neue Regeln für internationale Finanzgeschäfte, die verhindern, dass es erneut zu einer Situation wie der aktuellen kommt.