Wahn und Grössenwahn
Derzeit sind die Chancen für eine Erholung der Weltwirtschaft sehr gut.
Optimisten sprechen bereits von einem globalen Wachstum von mehr als 6 Prozent. Zeit also, den Champagner kalt zu stellen? Bleiben Sie vorläufig noch beim Bier, es gibt noch ein paar Schwierigkeiten: Die Währungsturbulenzen nehmen zu, es droht inzwischen gar ein neuer Handelskrieg. Währungsturbulenzen? Ist das seit Wochen andauernde Hickhack um griechische Schulden und schwachem Euro so schlimm? Nein, das nicht. Aber wer spricht überhaupt vom Euro? Den Ökonomen macht ein ganz anderer Währungsstreit Bauchschmerzen. Die zunehmenden Spannungen um den richtigen Wechselkurs zwischen Renminbi und Dollar.
In Europa ist man sich noch viel zu wenig bewusst, wie stark sich die geopolitischen Gewichte in den letzten zehn Jahren verschoben haben. Mit Euroland wollte man ein Gegengewicht zum einheitlichen US-Markt schaffen. Rein zahlenmässig scheint das gelungen zu sein: Rund 300 Millionen Amerikanern stehen ebenso viele Europäer gegenüber. Doch in Asien ist die Zeit nicht stehen geblieben. Dort hat man ebenfalls Zölle gesenkt und Handelsabkommen geschlossen. Entstanden ist dabei die Asean-China Free Trade Area (ACFTA), eine Freihandelszone mit mehr als zwei Milliarden Menschen. Unbestrittenes Alphatier in diesem Riesenmarkt ist China.
Wachstum seit 30 Jahren
China ist das Wirtschaftwunder des 21. Jahrhunderts. Seit rund 30 Jahren wächst die Wirtschaft in einem atemberaubenden Tempo. Die US-Investmentbank Goldman Sachs geht davon aus, dass China 2027 die grösste Volkswirtschaft der Welt sein wird. Bereits heute wirft dieses Ereignis seine Schatten voraus. «Einer der fundamentalen ökonomischen Effekte des Aufstiegs von China wird sein, dass das internationale Finanzsystem neu gestaltet wird», stellt Matin Jacques in seinem hoch gepriesenen Buch «When China Rules the World», fest.
Die neue Finanzordnung wird nicht harmonisch entstehen, und gerade derzeit ist die Stimmung zwischen Washington und Peking wieder einmal mies. Die Amerikaner werfen den Chinesen vor, mit einem künstlich tief gehaltenen Renminbi den Wettbewerb zu ihren Gunsten zu manipulieren und damit mitverantwortlich zu sein für die hohe Arbeitslosigkeit in den USA. Immer lauter werden die Stimmen in Politik und Wirtschaft, die dazu auffordern, den Druck auf China zu erhöhen, damit der Wechselkurs sich ändert. Seit rund zwei Jahren liegt dieser Kurs bei 1 : 6,83. Präsident Barack Obama hat deshalb China dazu aufgefordert, einen «marktgerechteren» Wechselkurs des Renminbi anzustreben.
Peking schmollt
Das ist in Peking sehr schlecht angekommen. Premierminister Wen Jiabao hat am vergangenen Wochenende die Forderungen nach einer Aufwertung des Renminbi entschieden von sich gewiesen. Die Verantwortung liege allein bei den Amerikanern, erklärte er unmissverständlich und fügte hinzu: «Ich verstehe nicht, wie man andere Länder zwingen kann, den Wechselkurs ihrer Währung zu stärken nur um die eigenen Exporte zu fördern.»
Im 21. Jahrhundert wird die Weltwirtschaft geprägt sein von der Rivalität zwischen den USA und China, die Finanzmärkte werden in Atem gehalten vom Wechselkurs zwischen Dollar und Renminbi. Derzeit ist die chinesischen Währung zwar noch nicht einmal konvertierbar, doch das bedeutet nicht, dass sie international unbedeutend wäre. Für verschiedene Länder Asiens wie etwa Vietnam oder Kambodscha ist der Renminbi heute schon eine informelle Leitwährung geworden. Südamerikanische Staaten beginnen, mit China Verträge abzuschliessen, in denen Rohstoffe gegen Renminbi getauscht werden.
Ein Nebenschauplatz
Der Euro wird in diesem Duell immer mehr an Bedeutung verlieren, Euroland wird zu einem Nebenschauplatz, nicht nur weil er klein ist. «Die EU hat weder die Macht noch die Autorität, um eine wichtige Rolle als Zentrum Europas gegenüber China einzunehmen», stellt Jacques fest. «Das Resultat wird sein, dass Europas Stimme schwach sein wird, wenn es überhaupt mit einer Stimme spricht.»