Sechs Millionen Tabak-Tote im Jahr 2010?

Mediziner und Wirtschaftsforscher haben die künftigen Folgen des Tabakkonsums abgeschätzt. Allein im kommenden Jahr rechnen sie mit weltweit rund sechs Millionen Toten und wirtschaftlichen Schäden von einer halben Billion Dollar - Tendenz steigend.

Die Industriestaaten sind auf dem besten Weg, zu einer grossen Nichtraucherzone zu werden. Doch global gesehen kennen die Zahlen zum Tabakkonsum nur eine Richtung: nach oben. Insbesondere in den Schwellen- und Entwicklungsländern steigt die Zahl der Raucher stark an. Die American Cancer Society und die World Lung Foundation haben jetzt die dritte Ausgabe ihres " Tobacco Atlas" veröffentlicht, ein Kompendium aus aktuellen Erkenntnissen über den weltweiten Tabakkonsum - die Zahlen sind erschreckend.

5,5 Millionen Menschen werden demnach allein in diesem Jahr weltweit an den Folgen des Tabakkonsums sterben. Damit sei Tabakkonsum für den Tod jedes zehnten Menschen verantwortlich, heisst es in dem Bericht. Im Jahr 2010 werde die Zahl der Todesopfer voraussichtlich auf sechs Millionen steigen, 2020 könnten es sieben und 2030 bereits mehr als acht Millionen sein. Hält dieser Trend an, wären dies bis zum Ende des Jahrhunderts insgesamt rund eine Milliarde Tote. Im 20. Jahrhundert seien dagegen "nur" 100 Millionen Tabak-Tote zu beklagen gewesen.

Enorme wirtschaftliche Schäden
Allein an den Krebserkrankungen, die durch das Rauchen verursacht werden, dürften dem Bericht zufolge im Jahr 2015 mehr als zwei Millionen Menschen weltweit sterben. Bis 2030 seien 83 Prozent dieser Todesfälle in Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen zu erwarten. Dabei sei der Tabakkonsum als einzige aller Krebsursachen "vollständig vermeidbar" durch bewährte Präventions- und Politikstrategien wie höhere Steuern, Werbeverbote und Warnungen auf Zigarettenschachteln, betonen die vier Mediziner und Wirtschaftswissenschaftler, die den Tabak-Atlas verfasst haben.
Abgesehen von der menschlichen Tragödie sind auch die ökonomischen Schäden des Tabakkonsums beträchtlich: Behandlungskosten, verlorene Produktivität und Umweltschäden kosteten die Volkswirtschaften der Welt jährlich rund 500 Milliarden Dollar, schätzen die Experten. Darin enthalten sind auch Steuerausfälle, denn Zigaretten gehören zu den meistgeschmuggelten Konsumgütern überhaupt.
Aus dem Tabak-Atlas geht auch hervor, dass in Deutschland 37,4 Prozent der Männer rauchen. Damit liegt die Bundesrepublik knapp vor anderen westeuropäischen Ländern wie Frankreich (36,6 Prozent), Spanien (36,4), Grossbritannien (36,7) und Italien (32,8). In Österreich (46,4 Prozent) und nahezu allen osteuropäischen Ländern liegt der Raucheranteil unter Männern dagegen durchweg über 40 Prozent. Unter den deutschen Frauen befinden sich knapp 26 Prozent Raucherinnen, womit Deutschland im europäischen Mittelfeld liegt.
Auffallend hoch ist in der Bundesrepublik dagegen der Raucheranteil unter Jugendlichen. 32,2 Prozent der 13- bis 15-jährigen Jungen werden im Tabak-Atlas als Raucher aufgeführt - einer der Spitzenwerte in Europa. Nur in Estland, Lettland und Litauen liegt der Anteil noch höher. Auch bei 13- bis 15-jährigen Mädchen liegt Deutschland mit einem Raucheranteil von 33,7 Prozent in der Spitzengruppe Europas.

Schneller Anstieg des Tabakkonsums in armen Ländern
Zwar kann man in den Industrieländern generell leicht den Eindruck gewinnen, der Tabakkonsum sei durch umfangreiche Aufklärungskampagnen und Rauchverbote auf dem Rückzug. Global aber zeigt sich ein vollkommen anderes Bild: Vor allem in ärmeren Ländern steigen die Raucherzahlen rapide. Die Zahlen aus dem Tabak-Atlas bestätigen das eindrucksvoll:Seit 1960 hat sich die Tabakproduktion in Ländern mit geringen und mittleren Ressourcen verdreifacht, in den reichen Staaten dagegen halbiert. Im Jahr 2010 werden 72 Prozent aller Menschen, die an tabakbedingten Krankheiten sterben, aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen kommen. Insgesamt rauchen eine Milliarde Männer und 250 Millionen Frauen regelmässig. In den Industrieländern beträgt der Raucheranteil unter Männern 35 Prozent, in den Entwicklungsländern 50 Prozent. Bei den Frauen ist der relative Unterschied mit 9 zu 22 Prozent noch grösser. In China rauchen inzwischen fast 60 Prozent aller Männer und konsumieren dadurch mehr als 37 Prozent der Weltjahresproduktion an Zigaretten. Tabakkonsum wird voraussichtlich rund 250 Millionen der heute lebenden Kinder und Jugendlichen töten. Allein 50 Millionen Chinesen, hauptsächlich Jungen, werden vorzeitig durch Krankheiten im Zusammenhang mit Tabakkonsum sterben.Die Autoren des Berichts warnen vor gravierenden Problemen in armen Ländern. So seien die schwächeren Gesundheitssysteme weniger gut in der Lage, die Folgen des Rauchens zu lindern. Zudem müssten Menschen in Entwicklungsländern für die Finanzierung ihrer Nikotinsucht einen wesentlich größeren Anteil ihres Einkommens aufwenden - Geld, das dringend gebraucht werde für Lebensmittel, Medikamente und andere Güter.
Zudem nehmen Tabakplantagen dem Bericht zufolge fast 40.000 Quadratkilometer an landwirtschaftlicher Fläche ein - genauso viel wie alle Orangen- oder Bananenplantagen der Welt. "Der Tabak-Atlas enthält zwingende Beweise, dass die Gesundheitslast des Rauchens von den reicheren in die ärmeren Länder wechselt", sagte Peter Baldini, Geschäftsführer der World Lung Foundation. Das Problem besitze "atemberaubende Dimensionen".