Beziehungen mit Sex sind gesünder!

Männer und Frauen verstehen sich nicht immer – aber lieben können sie sich trotzdem.

Wie hält man den Sex in langjährigen Beziehungen frisch?
Am besten gehts dem Sex, wenn man nichts gegen ihn tut. Es ist ein Trieb, und alles Triebhafte hält sich von selbst. Wichtig ist also nicht, dass man etwas dafür tut, sondern dass man erkennt, was man dagegen tut, und damit aufhört. Man kann es mit dem Essen vergleichen: Sofern man sich keine Magersucht anerzogen hat, hat man regelmässig Hunger und isst dann etwas.

Trotzdem suchen viele langjährige Paare den besonderen Kick. Sie buchen dann etwa Übernachtungen im Wellness- oder im Bunkerhotel. Hilft das?

Mein Gott, wenn ihnen das Freude macht, warum nicht? Wichtig ist, dass beide Partner das Projekt unterstützen und die damit verknüpften Erwartungen nicht zu schwer auf ihnen lasten. Kann man in der Schweiz tatsächlich im Bunker übernachten?

Ja. Auf dem Gotthard zum Beispiel.

Vielleicht suchen sie dort den «Spirit of Survival»! Man hat gerade noch überlebt, draussen ist alles verseucht, jetzt muss man sich, wie früher in Pestzeiten, eng aneinanderkuscheln . . .

Beflügeln Rollenspiele die Fantasie?
Erotik ist immer ein Rollenspiel. Alles, was von aussen als Modell in eine Beziehung einbezogen wird, sollte vom Paar gemeinsam gutgeheissen werden. Sobald einer dem anderen etwas aufoktroyiert, kann sich dieser zum Objekt degradiert fühlen. In diesem Fall richtet das Spiel statt die Lust zu fördern eher Schaden an.

Und Rituale? Ich kenne Paare, die baden jeden Mittwoch zusammen und lieben sich anschliessend.

Solche Rituale haben viel Gutes. Bei Laurence Sterne («Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman») gibts diese Anekdote, in der er erzählt, wie der Vater des Helden jeweils Samstag- nachmittag, nachdem er die Uhren aufgezogen hatte, mit seiner Frau schlief, die ihn angelegentlich fragte: «Did you wind up the clock?» In England wurde dieser Satz lange Zeit als sexuelles Angebot verstanden.

Es gibt Paare, die behaupten, Sex sei in einer langjährigen Beziehung nicht mehr so wichtig. Ist das eine Entschuldigung für verlorenes Interesse?

Wenn zwei schon lange keinen Sex mehr haben und es trotzdem funktioniert, haben sie das offensichtlich zusammen geregelt. Das ist eine spezielle Leistung, aber auch ein Verlust. Ich glaube, dass eine Beziehung, in der die Sexualität funktioniert, auch wenn das Paar 60 oder 70 Jahre alt ist, gesünder, stabiler und freudvoller ist.

Lässt sich Sex «verhandeln»?

Jede Beziehung beruht auf Verhandlungen. Schliesslich müssen zwei Menschen, die sich vorher fremd waren, lernen, auf eine konstruktive Art miteinander umzugehen, sich gegenseitig das zu geben, was sie brauchen. Das ist ein schwieriger Prozess, vor allem in modernen Beziehungen, in denen die Idealisierung des Partners im Vordergrund steht.

Was meinen Sie mit Idealisierung?

Die Phase der ersten Verliebtheit. Der Traum vom Partner, der genauso ist und empfindet wie man selber. Wenn diese Illusion bröckelt, wenn plötzlich auch die Unterschiede sichtbar werden, kann das durchaus etwas Kränkendes haben. Das beleidigt. Viele Menschen ziehen sich darauf lieber in sich selbst zurück, statt mit dem Partner zu verhandeln. Das ist schade: Frauen und Männer können sich zwar nicht immer verstehen – aber sie können sich trotzdem lieben. Die Erotik ist eine wunderbare Form, um sich näherzukommen und sich gegenseitig im Selbstgefühl zu bestätigen.

Selbstgefühl?

Anerkennung. Narzissmus. Liebe zu sich selbst. Jeder sucht die Bestätigung des anderen. Er will spüren, dass er geliebt wird, dass man ihn gut findet, dass man zusammen Freude erleben kann. Die gegenseitige Befriedigung dieses Selbstgefühls ist in der modernen Erotik fast wichtiger als die Lust.

Was verstehen Sie unter moderner Erotik?

Wenn sich zwei Menschen freiwillig zusammentun und auf Augenhöhe miteinander verkehren.

Wenns um Sex geht, vergleichen wir uns gerne mit anderen. Woran liegt das?

Weil wir im Bereich der Erotik alle ein bisschen unsicher sind. Nicht zuletzt, weil wir täglich von perfekten Körperbildern überschwemmt werden. Und von Filmszenen, in denen Sex immer ganz perfekt und ganz ausdauernd und in allen möglichen akrobatischen Übungen gezeigt wird. Es erfordert Mut, zu sagen, ich mache etwas, das zwar weniger schön ist, mir aber dafür Spass macht. Dabei bietet gerade der Sex eine gute Möglichkeit, sich vom Perfektionismus zu verabschieden und sich über das zu freuen, was noch geht.

In Ihrem Buch verwenden Sie das Wort Selbstregulation. Das tönt wie eine Gangschaltung beim Auto.

Mein Interesse gilt dem erwähnten Selbstgefühl. Ein Paar entwickelt einen gemeinsamen Narzissmus. Dazu gehören Aufmerksamkeit für den anderen, eine liebevolle Auseinandersetzung und Kritik, ein nicht defensiver Umgang, der dem anderen vermittelt: Ich sehe dich, und ich finde dich gut, so wie du bist. Das ist eine knifflige Geschichte. Ist ein Paar zu friedlich, wirds langweilig; streitet es zu viel, kann diese Dynamik die Zweisamkeit zerstören.

Wie reguliert sich ein Paar selber?

Indem es verbissene Rechthaberei durch Wahrnehmung, missionarisches Eindringen durch den Respekt des Feldforschers und den vorwurfsvollen Ernst durch ein humorvolles Spiel mit Gefühlen und Gedanken ersetzt.

Dazu gehört das Wahrnehmen von Zwischentönen. Männer sind dafür nicht immer so empfänglich. Sollten Frauen, um Missverständnisse zu vermeiden, explizit sein?

Frauen sind genauso wie Männer nicht immer genügend sen- sibel für Zwischentöne. Aber Frauen haben viel explizitere Vorstellungen von Beziehungen – und laufen Gefahr, dass diese perfekten Bilder und die damit verbundenen Forderungen die Zwischentöne unterdrücken. Männer kennen das weniger, sie können eher aus dem Augenblick heraus reagieren und sind impulsiver.

Tötet aber nicht der gemeinsame Alltag die Erotik?

Das wird immer als Ausrede gebracht. Was heisst schon gemeinsamer Alltag? Oft ist es doch so, dass jeder vor sich hin lebt, seine Sachen macht, eigentlich ganz zufrieden damit ist und in diesem Moment keine Lust auf die Gesellschaft des anderen hat. Man muss gerne zusammensein. Wenn es einem stinkt oder egal ist, lässt man es lieber so lange bleiben, bis man wieder Lust darauf hat.

Das braucht zuweilen eine gesunde Portion Egoismus.

Jeder Partner ist in einer Beziehung für seine Altlasten selber verantwortlich. Es gibt Anliegen, die man teilen kann, und andere, die besser jeder für sich selber lösen sollte. Zudem gibt es Probleme, die man gar nicht lösen kann. Zum Beispiel nützt es wenig, wenn ich meine Energie dafür einsetze, um meinen Partner zu verändern oder ihm meine Forderungen aufzuzwingen.

Manchmal würde es den Alltag schon erleichtern, wenn der Partner nicht so stur wäre und sich anpassen könnte.

Diese Anspruchshaltung bringt nichts. Jeder Mann und jede Frau hat eigene Grenzen und beschränkte Möglichkeiten. Das muss man respektieren. Auch wenn es einem schwerfällt. Es ist sehr unangenehm, sich mit einer konträren Meinung auseinandersetzen zu müssen, wenn man selber von einer Sache überzeugt oder begeistert ist.

Apropos Begeisterung: Warum haben in längeren Beziehungen Männer öfters mehr Lust auf Sex als Frauen?

Der antike Seher Teiresias würde sagen, weil sie Qualität durch Quantität ersetzen müssen. Laut ihm haben Frauen zehnmal mehr Spass am Sex; er musste es wissen, denn er hatte zehn Jahre als Frau gelebt. An sich ist es gut, wenn ein Partner nicht unglücklich darüber ist und sich zurückzieht, wenn er mehr will als der andere. Das bringt produktive Kräfte in die Beziehung. Dass es in der Regel der Mann ist, kann auch mit dem Selbstgefühl zu tun haben. Frauen werden in der Regel von Frauen aufgezogen und können sich früh mit dem eigenen Geschlecht identifizieren. Beim Mann fällt dies weg. Das ist ein Grund, warum Männer mehr Anerkennung, mehr Bestätigung ihrer Männlichkeit brauchen als Frauen. Und das holen sie sich am einfachsten über die Erotik